Mozarts Opern: Synthese und Vollendung

Mozarts Opern: Synthese und Vollendung
Mozarts Opern: Synthese und Vollendung
 
Wolfgang Amadeus Mozart war als Opernkomponist ein Außenseiter, unfreiwillig, wie aus seinen Lebensdokumenten hervorgeht. Sein Vater Leopold Mozart hatte früh die Ausnahmebegabung Wolfgangs erkannt und verfügte auch über das nötige Geschick, die Karriere seines Sohnes zu lenken. Während der zahlreichen Reisen, sei es nach Wien, London, Paris und vor allem nach Italien, erwarb sich Mozart ein breites Fundament an Kenntnissen und Erfahrungen, die er dann auch schon früh - ausschließlich im Bereich der italienischen Operngattungen - einsetzen konnte.
 
Mozarts Opernschaffen beginnt, anfangs ausschließlich im Bereich der italienischen Operngattungen, in Wien mit der Opera buffa »La finta semplice«, die er 1768 auf Anregung Kaiser Josephs II. komponierte. Die Aufführung dieser Oper des damals 12-Jährigen kam in Wien allerdings nicht zu Stande. Fortgeführt in Italien mit zwei »Drammi per musica« und einer »Festa teatrale« am renommierten Teatro Ducale in Mailand, darunter »Lucio Silla« (1772), beendete Mozart seine Lehrjahre mit der Opera buffa »La finta giardiniera« für München (1775). Vor allem in den beiden letztgenannten Werken stellte er seine Fähigkeiten einerseits der gründlichen Aneignung musikalischer Idiome, belcantistischer Spezifika und dramaturgischen Know-hows unter Beweis. Andererseits zeigte er aber auch hier bereits seine nur geringe Bereitschaft, sich in den vorgegebenen Bahnen zu bewegen: Getreu seiner Devise, dass »untaugliche Musick« das Resultat sei, würde er als Komponist »immer so getreu unsern Regeln« folgen, entfaltete er sein Talent und seinen »Gedankenreichtum« vor allem in kompositorischen Details.
 
Mozart war stets um Opernaufträge bemüht. Nichts wäre ihm wohl lieber gewesen als die Stelle eines Kapellmeisters an einem renommierten Hof mit stattlichem Opernhaus und hoch qualifiziertem künstlerischen Personal. Doch eine solche Stellung blieb ihm Zeit seines Lebens versagt. Zahlreiche Projekte bleiben unvollendet. Wenn überhaupt, erhielt er nur singuläre Aufträge, ohne dass sich daraus eine feste Bindung an eine Institution ergab. Das gilt für den »Idomeneo« (1781), Mozarts einziges Werk für das Münchner Hoftheater Karl Theodors sowie für das deutsche Singspiel »Die Entführung aus dem Serail« (1782), das er für das von Joseph II. 1778 errichtete »deutsche Nationaltheater« komponiert, das aber schon im März 1783 wieder seine Tore schloss. Das gilt ebenso für die gegenüber der Intendanz am Wiener Kaiserhof nur mühsam durchgesetzte Commedia per musica »Le nozze di Figaro« (1786), dem als einziger weiterer Opernauftrag vom Wiener Kaiserhof nur noch »Così fan tutte« (1790) folgte. Und schließlich gilt es auch im Falle der »Zauberflöte« für Emanuel Schikaneders Vorstadttheater (1791). Einzig in Prag entstand nach der begeisterten Aufnahme von »Le nozze di Figaro« ein Mozart-Fieber, das in die Aufträge zu »Don Giovanni« (1787) und »La clemenza di Tito« (1791) mündete.
 
Diese Situation, die bei Mozart immer wieder zu Verbitterungen führte, wie aus der Korrespondenz mit seinem Vater hervorgeht, und ihn - vor allem in Krisenzeiten - zu ständig neuen Überlegungen bezüglich einer sicheren Existenzgründung zwang, bedeutete zugleich eine Chance: Dank seiner universalen Ausbildung konnte er sich in den verschiedenen musikalischen Gattungen und Idiomen bewegen, und es gab dem nicht an ein Amt oder eine Institution Gebundenen auch die Möglichkeit zu experimentieren, zwischen den Gattungen zu vermitteln und das Publikum mit originellen Einfällen zu frappieren. Als überaus glückliche Fügung muss auch seine spätere Zusammenarbeit mit dem Librettisten Lorenzo Da Ponte bezeichnet werden, der sich ganz offensichtlich auf Mozarts Eigenart einließ, erst den »Plan des Stücks«, und zwar im Hinblick auf die Komposition (damit die »opera« um so mehr gefalle) auszuarbeiten und erst dann - offensichtlich in enger Zusammenarbeit mit dem Textdichter (die überlieferten Dokumente lassen konkrete Aussagen nicht zu) - das Libretto zu vollenden.
 
Einen ersten Höhepunkt bedeutete der in Zusammenarbeit mit dem Textdichter Giambattista Varesco entstandene »Idomeneo«: eine italienische Oper, die entsprechend der in Mannheim und an anderen deutschen Höfen üblichen Tradition mit der Wahl mythologischer Stoffe, der Integration von Chor- und Tanzszenen (Divertissements) sowie der Tendenz zu einer szenenübergreifenden Vertonung die Orientierung an der Tragédie lyrique suchte. Die aus den Briefen an den Vater hervorgehenden ästhetischen Intentionen, die Mozart bei der Komposition des Werkes leiteten, berühren indes die Gattungsfrage nur am Rande. Entscheidend für ihn waren Kürze und Natürlichkeit, mithin Kriterien, die einerseits auf die Verdichtung des musikalischen Satzes zielten, andererseits auf eine stärkere Verknüpfung von Komposition und Bühnenereignis, das heißt von Handlungsgeschehen und Disposition der musikalischen »Zeit«. Vor allem die auf allen Ebenen des Satzes realisierte kompositorische Dichte, als deren Mittel harmonische Überraschungseffekte, die Differenzierung des Klangspektrums etwa durch Abspaltung der Bläser, ferner eine im Sinne des Wortes originelle melodische Erfindung sowie eine ungewohnt reiche instrumentale Begleitung hervortreten, sollte auch weiterhin für Mozarts Kompositionen bestimmend werden und ihnen ein unverwechselbares Gesicht verleihen.
 
Dass Mozart die Werke seiner Zeitgenossen wahrgenommen und auch verarbeitet hat - Giovanni Paisiellos vor allem und Glucks - ist unübersehbar und gründlich erforscht worden. Der Pluralismus der Idiome und die Fähigkeit, sie zu einer Synthese zu bringen, sie emphatisch im »Werk« zu vereinigen, ist eines der Geheimnisse des außergewöhnlichen, unvergleichlichen Ranges seiner Opern. Vor allem »Don Giovanni« und »Die Zauberflöte« dokumentieren eindrucksvoll die Vielfalt und den Reichtum kompositorischer »Schreibarten«, über die Mozart uneingeschränkt verfügte: der »Don Giovanni« als ein Zusammenschluss von Opera buffa und Opera seria (darinnen Elemente der Tragédie lyrique), »Die Zauberflöte« als eine Bündelung musikalischer Stilmittel nahezu aller Gattungen des damaligen Musiktheaters (hinzu kommt der »Choral« der Geharnischten). Mit diesem vor allem auch bühnentechnisch überaus aufwendig realisierten Singspiel spielten Schikaneder und Mozart zudem auf die in Wien zu dieser Zeit äußerst populäre Freimaurerei an und nahmen geschickt Bezug auf die im Juli 1791 ebenfalls in Wien als Sensation gefeierte Ballonfahrt François Blanchards.
 
Mozarts Ausnahmestellung als Opernkomponist beruhte darauf, dass die Eigenart seiner Kunst - wie Joseph Haydn schon früh erkannte - auf »geschmack« und darüber hinaus »die größte Compositionswissenschaft« beruhte; sie beruhte ferner auf der Intention, die Oper mit den in seiner Zeit aktuellen dramenästhetischen Neuerungen - dem Postulat der »Natürlichkeit« von Handlung, Personenzeichnung und musikalischer Vergegenwärtigung dramatischer Vorgänge - in Einklang zu bringen. Daher bedurfte es des »Plans« und der engen Zusammenarbeit von Textdichter und Komponist. Dass das Gattungsspektrum seines dramatischen Œuvres unermesslich weit ist, hat seinen Grund jedoch auch in der Fügung, dass er als Opernkomponist letztlich und wider Willen »unbehaust« blieb.
 
Prof. Dr. Sabine Henze-Döhring
 
 
Die Musik des 18. Jahrhunderts, herausgegeben von Carl Dahlhaus. Sonderausgabe Laaber 1996.
 Schreiber, Ulrich: Opernführer für Fortgeschrittene. Eine Geschichte des Musiktheaters. 2 Bände. Lizenzausgabe Kassel u. a. 1988—91.

Universal-Lexikon. 2012.

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